07.11.2023 Lesezeit: ca. 5 Minuten
Wenn in den USA ein neuer Präsident gewählt wird, schaut nicht nur die Weltöffentlichkeit gespannt auf das Wahlergebnis – auch an den Börsen rückt der Wahltermin in den Fokus. Denn rund um die Präsidentschaftswahlen hat sich ein bemerkenswerter saisonaler Effekt herausgebildet: der sogenannte Präsidentschaftszyklus.
Dieser beschreibt die typische Entwicklung der US-Börsen im Verlauf der vierjährigen Amtszeit eines US-Präsidenten – vom Wahljahr über die Zwischenjahre bis hin zum Vorwahljahr.
Die zugrundeliegende Idee: Die Börse reagiert auf politische Entscheidungen und Erwartungen – und davon gibt es rund um US-Wahlen reichlich. Historische Daten zeigen, dass bestimmte Jahre innerhalb dieses Zyklus tendenziell stärker oder schwächer verlaufen. Vor allem Vorwahl- und Wahljahre gelten dabei traditionell als besonders bullenfreundlich.
Die Gründe dafür liegen nicht nur in der ökonomischen Realität, sondern auch in der politischen Psychologie: Präsidenten, die sich zur Wiederwahl stellen, neigen dazu, wachstumsfördernde Maßnahmen zu ergreifen – oft mit spürbaren Effekten für die Börse.
Doch wie verlässlich ist dieser Zyklus wirklich? Und welche Rückschlüsse lassen sich daraus für Anleger ziehen?
Inhaltsverzeichnis:
Präsidentschaftszyklus spiegelt Börsenentwicklung über vierjährige Amtszeit wider
Der Präsidentschaftszyklus spiegelt die historisch gesehen durchschnittliche Entwicklung der US-Börse innerhalb der vierjährigen Regierungsphase eines US-Präsidenten wider. Der Präsidentschaftszyklus unterscheidet sich in vier Jahre:
Es gibt das Wahljahr. Das Nach-Wahljahr (erstes Jahr einer neuen Administration). Das Zwischenwahljahr oder Midterm-Jahr (hier finden die Midterm-Wahlen für den US-Kongress statt) und das Vor-Wahljahr vor der nächsten Präsidentschaftswahl. In der Grafik ist die durchschnittliche historische Entwicklung des Dow-Jones-Index über die jeweiligen vier Jahre aller Präsidentschaften in den USA seit 1900 dargestellt.
Die historische Entwicklung des Dow-Jones-Index im Präsidentschaftszyklus
Wichtiger Hinweis: Frühere Wertentwicklungen sind kein verlässlicher Indikator für künftige Wertentwicklungen.
Welche Jahre im Präsidentschaftszyklus sind tendenziell stärker oder schwächer? Wichtiger als die absoluten prozentualen Gewinne der US-Börse sind die Gewinnwahrscheinlichkeiten.
Bisher waren die Vorwahljahre mit einer historischen Gewinnwahrscheinlichkeit von 83 % die stärksten Jahre. Sie weisen auch die mit Abstand höchsten prozentualen Gewinne auf.
Auch in Wahljahren zeigen die US-Börse mit einer hohen historischen Gewinnwahrscheinlichkeit von 66 % eine positive Performance – wobei der Großteil der Performance im zweiten Halbjahr erfolgt. Die Jahre nach der Wahl entwickeln sich hingegen meist durchwachsen. Die Gewinnwahrscheinlichkeit liegt dann historisch betrachtet nur bei 52 %. Das Gleiche gilt für die Zwischenwahljahre (nur 59 %).
3 Facts:
- Wahl- und Vorwahljahre stark: Diese Jahre verzeichnen historisch die höchste Wahrscheinlichkeit für Kursgewinne – oft durch politisch motivierte Impulse wie Steuersenkungen oder Konjunkturprogramme.
- Nachwahl- und Midterm-Jahre schwächer: In diesen Phasen drücken Unsicherheit und unpopuläre Maßnahmen oft auf die Börsenstimmung.
- Saisonalität als Orientierung, nicht als Garantie: Der Präsidentschaftszyklus kann Hinweise geben, sollte aber nie die alleinige Entscheidungsgrundlage für Investments sein – unvorhersehbare Ereignisse wie Krisen oder Kriege überlagern oft politische Muster.
Börse reagiert auf politischen Aktionismus rund um den Wahlzyklus
Die Begründung findet sich in politischen Faktoren rund um den Präsidentschaftszyklus und in der Marktpsychologie der US-Börsen. Bei den politischen Faktoren müssen wir uns vor Augen führen, dass Politiker Machtmenschen sind. Ein großer Teil ihres politischen Aktionismus erfolgt mit dem Ziel des Machterhalts oder der Machtgewinnung.
Deshalb werden amtierende Präsidenten, die sich zur Wiederwahl stellen, in Vorwahl- und Wahljahren historisch besonders häufig aktiv: Um ihre Siegeschancen zu erhöhen, werden oft Konjunkturprogramme aufgelegt, Benzinpreise gesenkt, Steuern gesenkt etc. – eben Aktionen, die bei den amerikanischen Wählern gut ankommen.
Auf der anderen Seite sind die Nachwahljahre häufig schwächer. Denn die neue oder wiedergewählte Regierung nutzt die Honeymoon-Phase nach der US-Wahl traditionell, um unpopuläre Entscheidungen durchzusetzen. Denn jetzt hat man den größten Rückhalt in der Bevölkerung, und die nächsten US-Wahlen sind weit weg.
Vorwahljahre und Wahljahre sind besonders stark
Das Zwischenwahljahr/Midterm-Jahr ist historisch das schwächste der vier Jahre. Denn Börsianer hassen nichts mehr als Unsicherheit. Die US-Börse kann mit fast jedem Präsidenten leben. Womit die US-Börse aber nicht leben kann, ist Unklarheit und Unsicherheit über die politische Zukunft in Washington.
Doch Amerikaner lieben Gewaltenteilung. Je nachdem, ob Republikaner oder Demokraten im Weißen Haus regieren, wird bei den Kongresswahlen, deshalb bevorzugt die jeweils andere Partei gewählt – damit nicht Weißes Haus und Kongress in einer Partei vereint sind. Dies führt jedoch dazu, dass der Präsident im letzten Amtsjahr häufig zu einer „lahmen Ente“ wird und keine neuen Initiativen mehr durchsetzen kann.
Die politische Unsicherheit ist auch der Grund für die historische Schwäche in der ersten Hälfte der Präsidentschaftswahljahre. Die US-Börse ist in dieser Phase meist unsicher, welcher Kandidat das Rennen machen wird. Also hält man sich mit Investments noch zurück. Klärt sich die Lage mit den näher rückenden Wahlen auf, sehen wir an der US-Börse im zweiten Halbjahr historisch eine Rallyphase.
Kann der Präsidentschaftszyklus die Börsenrichtung vorzeichnen?
Wie stark sollte man dem Zyklus Beachtung schenken? Es scheint eine gewisse historische Treffsicherheit des Präsidentschaftszyklus zu geben. Denn der politische Aktionismus vor den US-Wahlen kann die Perspektiven der amerikanischen Wirtschaft verbessern und damit die US-Börse anfeuern. Oder umgekehrt können unpopuläre Maßnahmen belasten.
Zudem muss man das psychologische Phänomen der „selbsterfüllenden Prophezeiung“ mit einbeziehen. Da der Präsidentschaftszyklus an der US-Börse viel Beachtung erhält, entwickelt sich bei Börsianern oft ein psychologisch bedingtes Verhaltensmuster, das auf den historischen Entwicklungen basiert.
Sollte man sich bei seinen Investmententscheidungen also primär auf die Saisonalität im Allgemeinen und auf die saisonalen Muster des Präsidentschaftszyklus verlassen? Nein. Die Saisonalität deckt auf, ob die historische Erfolgswahrscheinlichkeit zugunsten eines Trades oder Investments spricht. Es ist ein unterstützender Faktor.
Anhand der historischen Verlaufsmuster kann man ableiten, wann man mit ETFs, Fonds oder Aktien in die US-Börse investieren könnte. Erfahrene Anleger könnten zudem mit Branchen-ETFs gezielt an den politischen Maßnahmen der Demokraten oder Republikaner partizipieren. So profitierten in der Vergangenheit Branchen wie Rüstung, Öl/Gas oder Big Business (wegen Steuersenkungen) eher von einer republikanischen Regierung. Während es unter den Demokraten vermehrt Sektoren wie Bildung, der Gesundheitssektor oder der niedrigpreisige Immobiliensektor waren. Anlegende sollten jedoch bedenken, dass unerwartete Entwicklungen und Ereignisse wie der 11. September 2001 (9/11), die Immobilienkrise oder der Krieg in der Ukraine in der Regel größere und direktere Auswirkungen auf die Börsen haben als die politische Agenda des amtierenden oder künftigen Präsidenten.
Wie in US-Aktien investieren?
Anlegende haben verschiedene Möglichkeiten, in US-Aktien zu investieren. Eine davon ist der Kauf von Fonds oder Exchange Traded Funds (ETFs), die sich auf US-Aktien konzentrieren. Diese Instrumente bieten eine breite Streuung. Darüber hinaus können viele US-Aktien auch an deutschen Börsen gekauft werden. Die dritte Möglichkeit ist der direkte Kauf von US-Aktien an den US-Börsen. Diese Option ist vor allem dann interessant, wenn Sie kleinere Werte mit geringer Liquidität kaufen oder verkaufen möchten. Lesen Sie, wie der Handel an US-Börsen genau funktioniert.
Auch über die steuerlichen Besonderheiten sollten Sie sich vorab informieren.